Montag, 4. April 2011

“Ich kam als Fremde und ging als respektierte Freundin” - ein etwas längerer Post

Mein Patenkind lebt in einer kleinen Gemeinde im Westen von Nepal. In einem einstündigen Flug flog ich von Kathmandu nach Nepalgunj und wurde von Plan Mitarbeitern am Flughafen abgeholt. Sofort gefiel mir die freundliche und sachkundige Art der Angestellten aus dem Banke Büro, sie sprachen auch alles sehr gutes Englisch. Übernachtet habe ich in einem schönen Hotel in der Nähe des Büros und es gab überhaupt keine Probleme. Nach einer angenehmen Nacht wurde ich weiteren Plan Mitarbeitern vorgestellt, die alle einen netten Eindruck hinterließen. In einer kurzen Besprechung wurde mir Wissenswertes über die Gemeinde erklärt. Die Mitarbeiter haben auch alle meine Fragen beantwortet und wussten über spezielle Details zur Familie bescheid.
Die Fahrt zum Ort verlief reibungslos. Ich hatte Glück, mein Patenkind lebt nur circa 30 Minuten vom Büro entfernt und es gibt eine Strasse. Mir gefiel die Landschaft des Terai sehr gut. Alles ist grün dort und es sieht fast aus wie in der Savanne. Als das Auto in den Feldweg einbog der zum Haus der Familie führt, wurde ich etwas nervös. Ich hatte mir diesen Tag oft in Gedanken vorgestellt und hatte Angst dass meine Erwartungen zu hoch gesetzt waren. Ich wusste auch nicht genau wie ich die Familie begrüßen solle oder wie ich mich sonst angemessen verhalte. Ich hatte Angst dass meine 1.80m große, blonde Gestalt die Leute einschüchtert. Aber wie sich herausstellen sollte, waren alle Bedenken unangebracht.


Gleich nachdem ich aus dem Auto gestiegen bin, sah ich alle Dorfewohner versammelt. Alle haben sie mich mit einem freundlichen Lächeln oder einem „Namaste“ begrüßt. Ich habe zurück gegrüßt und auch gelächelt. Sudip, mein Patenkind, nahm mich an die Hand und führte mich in die Hütte. Dort durfte ich auf dem Bett, der einzigen Sitzgelegenheit, Platz nehmen. Ungefähr zwanzig Verwandte und Freunde haben sich noch nach uns in die kleine Hütte gequetscht um alles zu sehen. Sneh, meine Übersetzerin, hat mich Sudip, seiner Mutter und seinen Großeltern vorgestellt. Ich habe mich danach selbst noch in gebrochenem Nepali vorgestellt und überreichte dann meine Geschenke. Für  Sudips Familie hatte ich nützliche Gegestände wie Seifen, Zahnbürsten und Zahnpasta dabei. Die Mutter und die Oma bekamen zusätzlich noch Armreifen. Ich habe auch allen Dorfbewohnern Süßigkeiten gegeben und sie freuten sich sehr darüber. Sudip bekam ein Malbuch und Stifte und er hat sich sofort daran gemacht ein Bild auszumalen. Das Highlight aber war eine Packung Luftballons. Jeder wollte einen farbigen Ballon haben, sogar der Opa, und sie alle hatten Freude daran ihn aufzublasen und mit ihm zu spielen. Danach habe ich noch mit den Kindern Memory gespielt. Das Spiel brachte ich aus Deutschland mit und ich wollte sicher gehen dass sie es ganz verstehen. Die Kinder lernten schnell und spielten einige Runden. Die kleine ursprüngliche Anspannung war komplett verflogen. Alles was verblieb waren Gesichter mit einem warmen Lächeln und großen dankbaren Augen. Jeder hatte Spass an dem Besuch.








Ich habe die Gelegenheit genutzt um ein Gespräch anzufangen. Durch die Hilfe von Sneh, einer wirklich guten Übersetzerin, lernete ich viel über Sudip und seine Familie. Sudips Vater zum Beispiel, ist momentan in Indien  so wie alle anderen Männer der Gemeinde. Arbeit in der Terai Region zu finden ist schwer, deshalb gehen die Männer meist für sechs bis neun Monate nach Indien, arbeiten dort und senden ab und zu Geld heim. Sudip ist gearde sechs geworden und er geht in eine Private Grundschule. Durch Plan erhält er ein Stipendium dass ihm den Schulranzen, die Bücher und Stifte bezahlt, aber seine Familie arbeitet hart um sich die Privatschule zu leisten. Sie wollen dass Sudip mindestens bis zum Bachelor studiert. Als ich aber Sudip fragte was er später mal machen will, erzählte er mir er wolle zur Armee.

Momentan leben Sudips Mutter und er mit den Großeletern aus Sicherheitsgründen. Sobald der Vater nach Hause kommt ziehen sie wieder in ihre Hütte um. Eine Hütte die zwei Räume hat, aus Matsch gebaut wurde und ein Strohdach hat dass in der Regenzeit undicht ist. Sie haben auch keine Latrine. Dank Plan ist die junge Mutter nun Teil einer Gemüse Agrarwirtschaft Gruppe, was den Frauen vor Ort hilft das Einkommen ihrer Männer zu ergänzen. Die Familie und die Dorfbewohner haben offen und ohne Schüchternheit gesprochen. Sie sprachen davon wie die Kinder durch Plan in die Schule gekommen sind, wie die Mütter nun Gemüse anbauen, wie sie über Hygiene augeklärt wurden und wie sie nun gemeinsam und organisiert ihre Stimmen heben können. Sie haben mich herumgeführt und mit die Hütten und das Gemüsefeld gezeigt. Als wir dann zur Hütte der Großeletern zurück kehrten wollten sie über meine Familie wissen.
Um ihnen zu erklären warum ich überhaupt von soweit hergekommen bin, zeigte ich ihnen die Briefe von Sudip. Sie verstanden dass wir dadurch eine Verbindung hatten und versicherten mir auch dass sie Briefe und Geschenke erhalten haben. Ich erzählte ihnen dass diese Patenschaft etwas ganz besonderes für mich ist, weil ich als 22 Jährige Studentin einer anderen Familie, mit Vater und Mutter so jung wie ich, helfen kann.  Danach habe ich ihnen mit hilfe meines Computer Bilder von meiner Familie, unserem Haus, unserem Ort, meiner Universität, Zootieren, und anderen Dingen gezeigt. Jeder hatte Spass daran. 15 Leute vor einem kleinen Laptop Bildschirm, aber keiner hat sich gelangweilt. Die Kinder haben vor Freude aufgeschrien wenn sie ein Tier entdeckt haben dass sie kennen , wie einen Löwen, einen Elefanten, oder einen Hund. Die Frauen haben mir auch erklärt dass sie gerne Sport machen also habe ich ihnen ein Video gezeigt in dem ich bei einem Leichtathletik Wettkampf zu sehen bin. Sie haben mich angefeuert, geschrien, geklatscht und gestaunt. Danach haben sie ein cristliches Lied für mich gesungen; die Familie ist vor kurzem konvertiert. Die Kinder haben fast geschrien weil sie so begierig waren mitzusingen. Ich habe das ganze mit meiner Laptop Kamera aufgenommen so dass die Kinder sich sehen konnten. Um sie dann noch mehr zu entertainen habe ich danach ein Program angemacht dass durch Gesichtserkennung verschiedene Masken und Hüte auf die Köpfe vor der Kamera setzt. Mir fehlen die Worte um zu beschreiben wie sehr sie das genossen haben. Jeder, von der vier jährigen Nachbarstochter bis hin zum 68 jährigen Opa, hat laut gelacht und sich den Bauch gehalten jedesmal wenn die Maske oder der Hut Form, Farbe, oder Position gewechselt hat. Jetzt bin ich stolze Besitzerin eines Videos das beweist wie wenig man braucht um anderen Freude zu bringen.


Nach zweieinhalb Stunden war es dann schließlich Zeit zu gehen, nicht weil uns nichts mehr eingefallen ist über das wir reden wollten, sondern weil ich zum Flughafen musste. Die Familie bedankte sich bei mir fürs Kommen und ich bedankte mich bei Ihnen für ihre Offenheit und Gastfreundschaft. Sie sagten noch dass ich auf jeden Fall wieder kommen müsse. Sie würden mich auch gerne anrufen aber ich würde sie ja dann nicht verstehen können. Ich hätte ihnen gerne noch so viel gesagt und ihnen versichert dass ich sie nie vergessen werde aber es war schwer meine Emotionen zu kontrollieren. Die Großmutter hatte Tränen in den Augen. Ich sagte Sneh sie solle den Leuten erklären dass wir ins in Europa zur Verabschiedung umarmen, doch bevor sie die Übersetzung beenden konnte war mir die Großmutter in die Arme gefallen.

Sudip war der nächste mit einer minutenlangen Umarmung bei der ich nicht wusste ob er jetzt zu Weinen angefangen hat. Die Mutter und ihre Schwester umarmten mich auch sowie einige der Dorfbewohner. Dann, ganz plötzlich, hat mich auch der Großvater umarmt. Ich war so überrascht und bewegt, denn normalerweise halten sich Frauen und Männer an eine distanzierte formale Umgangsweise, dass mir Tränen in die Augen schossen. Ich wollte nicht mehr gehen. Ich war als Fremde gekommen doch ich ging als respektierte Freundin.
Durch diese neu gewonnene Freundschaft trage ich aber auch mehr Verantwortung. Vor dem Besuch waren Sudip, seine Familie und die Gemeinde nur Namen auf dem Papier. Ich wusste ich unterstütze ihre Entwicklung aber es gab keine tiefere Verbindung. Als ich an diesem Tag ging hatte ich so eine Verbindung hergestellt. Ich fühle mich für sie verantwortlich. Ich weiß dass diese Leute, die Leute mit denen ich lachte, spielte und sang, meine Hilfe brauchen und dass sie auf meine Unterstützung angewiesen sind. Ich werde ihr Lächeln, ihre Gesichter, ihre Tränen, ihr Winken nie vergessen, und damit werde ich auch meine Verantwortung gegenüber ihnen nie vergessen.


Ich hab wirklich versucht alles so gut wie möglich zu beschreiben, aber keine Worte werden je meine Erfahrungen beschreiben können. Ich hoffe euch hat es trotzdem gefallen, auch wenn es ein "etwas" längerer EIntrag war :)
Namaste und schau wieder rein für eine Beschreibung meines Besuchs in Makwanpur!
Annika

1 Kommentar:

  1. Wow, das hört sich nach einer wirklich tollen Erfahrung an! Die Nepalis aus dem Ort scheinen dich wirklich ins Herz geschlossen zu haben. Diese Form der Herzlichkeit hatten wir ja nicht erlebt. Dein Beitrag ist wirklich sehr rührend geschrieben. Man fühlt sich diesem Erlebnis sehr nahe. Ich hoffe dir geht es sonst gut.
    Wir vermissen dich,
    dein Bruder

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